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Luft und Kraftstoff für den Motor: Der Vergaser

Von den ersten Pionierfahrzeugen bis spät in die 1980er-Jahre ist der Vergaser integraler Bestandteil der Motorentechnik. Als System zur Gemischbildung hat er die Aufgabe, das Luft-Kraftstoff-Gemisch für die Verbrennung im Motor bereitzustellen. Damit fungiert der Vergaser gewissermaßen als „Lunge“ des Fahrzeugmotors. Der mit Abstand größte Hersteller und Lieferant ist in dieser Zeit die in Berlin und seit 1947 in Neuss ansässige Deutsche Vergaser Gesellschaft, die seit 1978 unter dem Namen Pierburg firmiert.

In den ersten Jahrzehnten des automobilen Straßenverkehrs wird die Reihe der Vergaser-Hersteller ebenso unübersichtlich wie die Zahl der Automobilhersteller. Die Liste reicht von A wie Amal bis Z wie Zenith. Doch nur die wenigsten Bautypen und Konstruktionsvarianten überdauern die Jahre. Zu ihnen zählt der Vergaser, den Marcel Mennesson, ein Techniker der Pariser Société Solex, 1908 konstruiert und 1910 zum Patent anmeldet.
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Dieser Solex-Vergaser erobert in den folgenden Jahren die automobile Welt und spielt in der Geschichte Pierburgs eine Hauptrolle – zumindest solange, bis die Vergasertechnik durch die heute üblichen Einspritzsysteme abgelöst wird.

Pierburg ist Wegbereiter für die Großserienfertigung von Vergasern in Deutschland. Man erkennt schon früh, welches Potenzial in der Motorisierung der entsprechenden Fahrzeuge auf der Straße, dem Wasser und in der Luft für den Vergaser steckt.
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Start der Vergaserfertigung in Berlin
Das Geschick und der persönliche Einsatz, mit dem Bernhard Pierburg und sein Sohn Alfred um die Lizenz für Solex-Vergaser kämpfen, legen die Basis für einen beispiellosen Erfolg in der deutschen Automobilzuliefer- Geschichte. Schritt für Schritt steigt die Gebr. Pierburg AG zum größten Vergaserhersteller im Deutschen Reich auf.

Am nachhaltigen Erfolg der deutschen Solex-Vergaser ändert auch die aufziehende Weltwirtschaftskrise nichts. Als Pierburgs Hausbank in Probleme gerät, gefährdet sie auch die Existenz der Gebr. Pierburg AG, deren Aktien von einer Treuhandgesellschaft übernommen werden. Es gelingt Bernhard Pierburg jedoch, die Vergaserlizenz und die Produktionsstätte an der Heidestraße aus der Gebr. Pierburg AG herauszulösen und in eine 1931 neu gegründete Gesellschaft einzubringen: die Deutsche Vergaser Gesellschaft (DVG), Berlin, die ab dieser Zeit von Alfred Pierburg geleitet wird.

Ein besonderes Verdienst Alfred Pierburgs ist es, dass der Solex-Vergaser schon bald in renommierte deutsche Fahrzeuge eingebaut wird und sich schnell als die Nummer eins auf dem deutschen Vergasermarkt etabliert.
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Nachkriegszeit: Vergaser aus Neuss

Im Zweiten Weltkrieg wird das Berliner Werk zerstört und der Verfügungsgewalt der Familie Pierburg entrissen. Es gerät in die Hand ehemaliger Mitarbeiter, die ihre eigene Geschäftsidee verfolgen. Auch um die Solex-Lizenz gibt es zunächst Irritationen. Da jedoch auch die britischen Besatzungsmächte einen Vergaserexperten für die Ausrüstung und Reparatur ihrer Militärfahrzeuge benötigen, sind sie auf das Know-how von Alfred Pierburg angewiesen. 1946 konfrontiert das britische Hauptquartier die Berliner Betriebsleiter mit einer völlig neuen Situation: Der Betrieb an der Heidestraße wird an die Familie Pierburg zurückgegeben. Dazu gehört auch das nach wie vor wichtigste Aktivum der DVG: die Vergaserlizenz, die nach dem Willen der französischen Inhaber nun auf Alfred Pierburg persönlich läuft.

Während so in Berlin die Vergaserfertigung wieder anläuft, baut Alfred Pierburg in Neuss an der Büdericher Straße einen neuen Betrieb auf, der 1947 seine Arbeit aufnimmt.
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Und erneut erobern die Solex-Vergaser den deutschen Automobilmarkt: Die größten Kunden werden
Mercedes-Benz, BMW, Ford, Glas, Borgward, Goliath – und natürlich VW. In den ersten Jahren baut die DVG nur die ursprünglichen Solex-Konstruktionen nach. Doch die Technik entwickelt sich weiter. Deshalb beginnen Pierburg und seine Mitarbeiter schon bald, eigene Forschungsergebnisse in neue Konstruktionen einzubringen. Die „Vergaser-Vereisung“ wird ebenso angepackt wie das Verhalten in unterschiedlichen Höhenlagen. Eine Startautomatik löst den herkömmlichen Choke ab, und 1956 geht mit dem Typ PAITA der erste Registervergaser in Großserie. Er erfüllt die Forderungen nach guter Gemischbildung im unteren Drehzahlbereich und hohen Gemischdurchsätzen für volle Motorleistung.

Dazu gesellt sich ein neuer Entwicklungsschwerpunkt: die Reduzierung der Schadstoffemissionen des Fahrzeugs. Die bereits in den 1960er-Jahren einsetzende strenge Abgasgesetzgebung in den USA zwingt die Konstrukteure, spezielle „Abgasvergaser“ zu entwickeln, die eine deutliche Verringerung der CO-, HCund NOx -Emissionen bewirken.
Entwicklungen in der Vergaser-Technik
Seit der Erfindung des Solex-Vergasers durch Marcel Mennesson 1910 hat sich das technische Wirkprinzip im Wesentlichen nicht verändert. Dabei ist der aus der Frühzeit dieser Technik stammende Begriff „Vergaser“ eigentlich irreführend. Der korrekte Begriff lautet „Gemischbildner“: Luft- und Kraftstoff werden für jeden Betriebszustand dosiert, der Kraftstoff möglichst fein zerstäubt der Luft zugemischt und schließlich gemäß der geforderten Motorleistung durch das Saugrohr in die Zylinder geführt. Doch was so einfach klingt, erfordert eine kontinuierliche Weiterentwicklung, um die Funktionalitäten zu erhöhen und die Fertigungstechnik den steigenden Stückzahlen anzupassen.

Der erste Pierburg-Vergaser für Hanomag wird noch im Sandgussverfahren aus Messing hergestellt. Erst die Umstellung auf Druckguss und den Werkstoff Zink ermöglichen ab 1930 eine Massenfertigung. In diese Zeit fällt auch eine deutliche Verbesserung der Starthilfe: Erste Steigstrom- und Horizontalvergaser führen dem Motor erstmals ein dosiertes Kraftstoff-Luftgemisch über Starterdrehschieber zu.
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Auch nach dem Zweiten Weltkrieg geht die Vergaserentwicklung sprunghaft weiter. Die Verbesserung des Fahrkomforts und der Fahrleistung stehen dabei als Ziele gleichrangig neben der Minderung des Kraftstoffverbrauchs und der Abgasreduzierung. So führt der Einsatz von Doppelvergasern zu stärkerer Motorleistung und 1959 löst erstmals ein Vergaser mit Startautomatik im Käfer den Choke ab.

Als Meilenstein gilt 1968 ein CD-Gleichstromvergaser auf Basis eines amerikanischen Bendix-Stromberg- Patentes. Die Innovation, deren Aluminiumgehäuse bei Kolbenschmidt in Neckarsulm und Hamburg gegossen wird, bricht erstmals mit dem bisherigen Fixdüsenprinzip. Jetzt lassen sich mit nur einem variablen Düsensystem große Luftdurchsätze für Höchstdrehzahlen erreichen, ohne dass auf gute Übergänge in den unteren Drehzahlbereichen verzichtet werden muss. Andere Entwicklungen betreffen den Einsatz von Beschleunigungspumpen sowie lastpunktspezifische Anreicherungen des Luft-Benzin-Gemisches.

Doch allmählich wirkt sich die wachsende Konkurrenz der Einspritzung auf den Vergaser aus: Die neue Generation mit den Typen Zenith 1B, 2B oder 2E ist bereits für die Aufnahme elektronischer Regelkreise ausgelegt.
Das Ende der Vergaser-Ära
Noch 1967 ist sich Alfred Pierburg sicher: „Injektionsfahrer sind Snobisten“. Doch die fortschreitende
Einspritztechnik greift unaufhaltsam um sich. Die aus Dieselmotoren bekannte Einspritzung beginnt auch für den Otto-Motor zunehmend zur marktfähigen Alternative für den Vergaser zu werden. Und zahlreiche Argumente sprechen dafür. So schaffen Einspritzsysteme die Voraussetzung für eine betriebspunktabhängige Steuerung des Verbrennungsprozesses. Dadurch wird die Energieeffizienz moderner Automobile deutlich erhöht.

Bei Pierburg ist der Zwiespalt groß. Das Herz schlägt für das angestammte Vergasergeschäft. Und dennoch versucht die DVG 1969 eine von Solex entwickelte Einspritzung zur Serienreife zu bringen. Drei Jahre später, 1972, stellt die DVG sogar eine eigene Zenith-Renneinspritzung vor. Das von der Fachpresse sehr gelobte System bleibt jedoch eine Einzelleistung. Denn obwohl die Leistungsbilanz durchaus für die Einspritzung spricht, stehen die Kosten in keinem Verhältnis zu denen des Vergasers.

Doch mit der Zeit wird die Einspritzung billiger und leistungsstärker; der Vergaser dagegen
komplizierter und teurer. Die Automobilfirmen verstärken ihre Motoren, und das „E“ am Heck des Wagens entwickelt sich zum Zeichen für Modernität. 1983 sind bereits 34 Prozent der deutschen Benzinmotoren mit Einspritzungen ausgerüstet – Tendenz weiter steigend. Ein letzter Versuch Pierburgs, sich auf dem Vergasermarkt zu behaupten, ist die Gemeinschaftsentwicklung eines elektronisch geregelten Vergasers in der Bosch-Pierburg-System-Gesellschaft (BPS).

Dieser Höhepunkt in der Vergaserentwicklung bedeutet zugleich auch ihr Ende. Denn das technisch aufwändige System wird vom Markt nicht angenommen, die Entwicklung 1987 eingestellt. Die Einführung geregelter Drei-Wege-Katalysatoren bringt schließlich 1992, nach über 75 Millionen bei Pierburg gefertigten Vergasern, das endgültige Aus: Pierburg muss neue Wege gehen, um das zusammenbrechende Vergasergeschäft zu kompensieren.
1928 Erster Solex-Vergaser aus Berliner Fertigung
1929 Erste Doppelvergaser für Luxus-Limousinen
1931 Gründung der Deutschen Vergaser Gesellschaft
1947 Neuanfang von Pierburg in Neuss
1955 Bau der APG-Werksanlagen an der Düsseldorfer Straße in Neuss
1956 Erster Solex-Registervergaser
1959 Erster Vergaser mit Startautomatik
1967 Erste Auswirkungen der Abgasgesetze in den USA
1975 Erwerb des Vergaserwerkes in Nettetal
1969 Errichtung eines Forschungs- und Entwicklungszentrums
1972 Beginn einer neuen Vergaserbaureihe
1981 Vorstellung eines elektronischen Vergasers
1989 Beschluss der Einführung des Drei-Wege-Katalysators
1995 Ende der Pierburg-Vergaser - Serienfertigung in Europa