jumpToMain

Stets im Takt: Der Kolben

28501

Ohne das antriebstechnische Element eines Kolbens wäre die industrielle Revolution vielleicht anders verlaufen. Denn schon die Erfindung der Dampfmaschine beruht darauf, die mittels Dampf erzeugte Energie durch die Auf- und Abwärtsbewegung eines Kolbens in mechanische Energie umzuwandeln. Dieses Prinzip hat sich in der Verbrennungsmotorentechnik bis heute erhalten: Im modernen Motor setzt der Kolben die thermische Energie, die durch das gezündete Treibstoffgemisch entsteht, in Fahrleistung um.

In jedem Fahrzeug, egal ob es mit einem Otto-, Diesel- oder sogar einem Wankelmotor betrieben wird, kommen Kolben verschiedener Bauart und Größe zum Einsatz. Diese Technik spielt sich im Verborgenen ab. Der durchschnittliche Autofahrer weiß nicht und braucht auch nicht zu wissen, welcher Art der Kolben ist, der sein Fahrzeug antreibt. Der Motorenhersteller jedoch benötigt einen genau auf die Konstruktionsweise des Motors und den jeweiligen Einsatzzweck abgestimmten und individuell konstruierten Kolben.

Entsprechend vielfältig sind die Entwicklungsaktivitäten rund um die Kolbentechnik. Dabei geht es um die Werkstoffwahl und Geometrie der Kolben ebenso wie um geeignete Strategien, um jederzeit eine möglichst geringe Reibung zwischen den Kolben, den Kolbenringen und den Laufbuchsen im Zylinderkurbelgehäuse des Motors zu gewährleisten und so zu einem optimalen Verbrauchs- und Emissionsverhalten beizutragen.

Seit dem Jahre 1920 ist die Geschichte des Kolbens eng mit KS Kolbenschmidt in Neckarsulm verbunden. Als Pionier für Kolben aus dem Leichtmetall Aluminium muss Karl Schmidt jedoch zunächst einmal zahlreiche Hindernisse und Vorurteile ausräumen. Erst der Erfolg bei einem 1921 vom Reichsverkehrsministerium veranstalteten Kolbenwettbewerb ebnet den Weg.

Damit beginnt die bis heute anhaltende Erfolgsgeschichte von KS Kolbenschmidt. Zahllose Entwicklungen und Patente, eine schier unübersehbare Anzahl an Kolbentypen sowie ein hohes Qualitäts- und Kostenbewusstsein begründen seither den Ruf des Unternehmens als Entwicklungspartner fast aller großen Automobilhersteller.

27574

Die Anfänge der Kolbenfertigung

Schon in den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts zeichnet sich ab, dass der Leichtbau von Motorenkomponenten zu deutlichen Vorteilen führt. Vor allem die stetig steigenden Drehzahlen machen es erforderlich, die hin und her schwingenden Massen im Motor zu reduzieren. Auf der Suche nach der besten Leichtmetall- Legierung für Automobilkolben schreibt das Reichsverkehrsministerium 1921 einen deutschlandweiten Wettbewerb aus. Karl Schmidt nimmt daran teil und präsentiert einen Kolben, dessen Legierung neben Aluminium eine Beimengung von 15 Prozent Kupfer enthält. Auch wenn dieser Al-Cu-Kolben aus Neckarsulm „nur“ den zweiten Platz hinter einem Magnesium-Kupfer- Kolben erringt, gewinnt Aluminium damit die offizielle Anerkennung als Kolbenwerkstoff.

Al-Cu-Legierungen werden für lange Zeit zum Standard, obwohl der zunächst noch harte und spröde Werkstoff wegen seines anfänglich zu hohen Eisengehalts häufig zu Kolbenbrüchen führt. Später wird das Eisen nach und nach durch Nickel und Kobalt ersetzt, was die Elastizität der Kolben verbessert.

Kolbenschmidt – wie das Unternehmen bald im Volksmund heißt – erringt mit dem Leichtmetallkolben große Erfolge und gewinnt zahlreiche Kunden aus der deutschen und internationalen Fahrzeugindustrie. In den ersten zehn Jahren der Kolbenfertigung verlassen nur Gießrohlinge das Werk in Neckarsulm. Die Weiterverarbeitung erfolgt extern. 1934 aber richtet Kolbenschmidt eine eigene Kolbenbearbeitung ein: Ob plattierte Kolbenböden aus reinem Aluminium gegen thermische Belastungen, oval geschliffene Kolben für optimale Laufleistungen oder U-Streifenkolben für Dauerleistungen in Zweitaktmotoren – das Kolbenlaboratorium in Neckarsulm erarbeitet immer neue metallurgische und konstruktive Verbesserungen. Die Stückzahlen erreichen sehr schnell Millionenhöhen: 1937 wird der zwölfmillionste Kolben gegossen.

Aber nicht nur Personenwagen werden mit Kolben ausgestattet: Für den Kölner Motorenhersteller Deutz baut Kolbenschmidt schon 1923 den ersten Großkolben mit 280 Millimetern Durchmesser für Diesel-Motoren im sogenannten „Tütenguss“-Verfahren, 1940 folgt der erste Großkolben mit über 500 Millimetern Durchmesser.

1927 wird der Al-Cu-Kolben durch ein neues Produkt abgelöst, das aus einer Aluminium-Legierung mit einem hohen Anteil an Silizium besteht. Der sogenannte „Alusil“-Kolben kann seinen bis heute andauernden Siegeszug durch die automobile Welt beginnen.

28504

Der Kolben seit 1945

28507

Nach Jahren der kriegsbedingten Stagnation macht Kolbenschmidt 1948 erstmals wieder mit einer Neuentwicklung auf sich aufmerksam. Zur kontrollierten Wärmeausdehnung des Kolbenschaftes bei hohen Betriebstemperaturen wird der Ringstreifenkolben entwickelt und in die Großserienfertigung überführt. Bei dieser weltweit in großer Stückzahl vertriebenen Bauform wird ein meist gezackter Stahlblechring am oberen Schaftende des Kolbens eingegossen. Zwei Jahre später, 1950, folgt für die Großmotorenindustrie der bis dahin größte Aluminiumkolben der Welt für Viertakt-Dieselmotoren mit einem Durchmesser von 573 Millimetern.

Das Jahr 1959 sieht die ersten von Kolbenschmidt hergestellten Kolben mit 400 Millimetern Durchmesser für einen 12-Zylindermotor mit Duleman-Ringträgern. Diese werden im sogenannten Alfinverfahren eingegossen und erlauben erstmals, Leichtmetallkolben im Schwerölbetrieb einzusetzen. Zuvor hatte Schweröl immer zu hohem Kolben- und Kolbenringverschleiß geführt. Eine noch höhere Belastbarkeit der Kolben wird durch eine intensive Kühlung im Bereich der Ringpartie möglich.

Auch bei Pkw-Motoren wird die Kolbenkühlung immer wichtiger. Schließlich ist er das Bauteil, auf dem im Auto die meiste Belastung liegt. Erste Kühlkanal- Versuche für Dieselmotorenkolben starten 1963 mit der Sintertechnik. Diese stößt jedoch bald an ihre Grenzen, da sich die eingegossenen Sand- oder Metallkerne nur mit großem technischen Aufwand und nie vollständig entfernen lassen. 1965 gelingt mit dem Einsatz von Salzkernen, die sich nach dem Gießen problemlos ausspülen lassen, zunächst bei Großkolben eine zukunftsweisende Lösung. Als wegweisend gelten auch der  Segmentstreifenkolben und nicht zuletzt der Kreiskolben für Wankelmotoren, mit denen sich die Entwicklung jener Zeit eingehend beschäftigt.

1971 wird die von Reynolds übernommene Technologie der Eisenbeschichtung von Kolben eingeführt, noch heute ein Meilenstein in der Kolbentechnologie. Einmal mehr Vorreiter ist das Unternehmen auch bei einem heute als Standardverfahren eingesetzten Fertigungsprozess, der Formbolzenbohrung, bei der das Bolzenloch in einem aufwändigen Bearbeitungsverfahren mit einer komplex geformten Bohrung versehen wird. So wird eine optimale Widerstandsfähigkeit und Kraftaufnahme der Kolbennaben erreicht.

Bei Kolben für Schiffsmotoren, Lokomotiven oder Kraftwerke setzen sich zunehmend gebaute Varianten durch, die aus einem Stahloberteil und einem Graugussunterteil bestehen.

In den 1980er-Jahren zählen leichte und verschleißarme Kolben für Pkw, extrem niedrigbauende Kolben sowie Werkstoffinnovationen zu den Entwicklungsschwerpunkten. Beim Leichtbau ist es ein damals eingeführter Kolben mit siebenteiligem Gießkern, der den Grundstein für die heutigen Leichtbaukolben darstellt. Weitere Entwicklungsergebnisse sind der Pressgusskolben mit örtlicher Faserverstärkung und die Hartanodisierung der Kolbenringnuten. Kolbenschmidt spielt mit seinen Produkten eine maßgebliche Rolle, wenn es darum geht, zu besseren Umweltbedingungen beizutragen.

In den 1990er-Jahren führt die weitere Verschärfung der Emissionsgesetzgebung zu einer nochmals erhöhten Belastung dieses zentralen Bauteils im Motor. Der Wunsch der Automobilkonstrukteure zu immer schmaleren Feuerstegen – und damit geringeren Emissionen – führt in der gemeinsamen Motorenentwicklung zu einer weiter verbesserten Werkstofftechnologie mit neuen hochtemperaturfesten Legierungen und der Entwicklung von Kolben mit variablem Querschnitt des Kühlkanals. Ähnliches gilt für Großkolben, die mittels der 1991 patentierten Schlitzkühlung das erhöhte Temperaturniveau bewältigen. Hier entsteht 1996 auch der bis heute größte Viertakt-Kolben der Welt. Mit einem Durchmesser von 640 Millimetern wird er für Antriebe von Containerschiffen eingesetzt.

Ob durch fortschrittliche Werkstoffentwicklung oder umfassendes Fertigungs-Know-how: Mit seiner Innovationskraft trägt das Unternehmen über Jahrzehnte dazu bei, seinen internationalen Spitzenplatz trotz harten Wettbewerbs zu festigen.

1921 Kolbenwettbewerb des Reichsverkehrsministeriums
1934 Beginn der eigenen Kolbenbearbeitung
1935 Errichtung des Kolbenwerkes in Hamburg
1923 Erster Aluminium-Großkolben
1935 Entwicklung eines Kolben-Schmiedeverfahrens
1950 Bau des bis dahin größten Aluminiumkolbens
1964 Entwicklung von Kreiskolben für den Wankelmotor
1969 Konstruktion eines Kühlkanalkolbens
1985 Serieneinführung des Pendelschaftkolbens
1997 Kleinster Dieselkolben für den „Smart“
2005 Fertigungsbeginn für Nkw-Stahlkolben
2007 Entwicklung einer reibungsoptimierten Schaftbeschichtung